Im Interview mit Prof. Dr. Karlheinz Schwuchow, Speaker beim Deutschen Weiterbildungsleitungskongress 2024 in Düsseldorf.
Demografie & Digitalisierung – Personalentwicklung in der Transformation
Die gegenwärtige Transformation der Arbeitswelt wird stark durch zwei bedeutende Trends geprägt: den demografischen Wandel und die Digitalisierung. Diese Trends beeinflussen die Personalentwicklung in Unternehmen erheblich und stellen sie vor neue Herausforderungen, bieten aber auch Chancen. Um in dieser sich schnell wandelnden Umgebung wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen Unternehmen ihre Personalentwicklungsstrategien an diese Veränderungen anpassen.
Wie kann die Personalfunktion aktiv zur Transformation beitragen und gleichzeitig selbst von dieser Transformation profitieren?
Die aktuellen Veränderungen erfordern ein Umdenken in der Art und Weise, wie Unternehmen ihre Beschäftigten fördern und entwickeln und das Leitbild der Lernenden Organisation Wirklichkeit werden lassen. Für die Personalfunktion impliziert dies noch stärker als in der Vergangenheit, sich als Steering Partner zu verstehen, der Transformation nicht nur verwaltet, sondern proaktiv vorantreibt. Nachdem mittlerweile nahezu jedes zweite Unternehmen offene Stellen zumindest teilweise nicht besetzen kann, weil es keine entsprechenden Arbeitskräfte findet, ist der Personalbereich in besonderer Weise gefordert, strategisch und visionär zu wirken – und dabei auch themenübergreifende Beiträge zu leisten. Es gilt, innovative Ansätze zu entwickeln, um die vorhandene Belegschaft zu stärken und an die veränderten Gegebenheiten anzupassen sowie neue Beschäftigte zu gewinnen und zu binden. All dies stärkt die Sichtbarkeit von HR und dessen Beitrag zum Unternehmenserfolg.
Wie können Unternehmen die Lücke von mehr als 600.000 unbesetzten Stellen schließen und welche Rolle spielt dabei die Digitalisierung?
In den nächsten 12 Jahren werden die zahlenmäßig stärksten Jahrgänge, geboren zwischen 1957 und 1969, in den Ruhestand gehen. In zahlreichen Unternehmen betrifft dies bereits bis 2030 nahezu ein Drittel der Belegschaft. Angesichts einer dramatisch wachsenden Fachkräftelücke gilt es, neue Wege zu finden – von der Gewinnung von Auszubildenden und Quereinsteigern, einem proaktiven Up- und Reskilling der eigenen Belegschaft, der Nutzung zeitlich und örtlich flexibler Arbeitsmodelle sowie der Bindung älterer Beschäftigter bis hin zu Einsatz künstlicher Intelligenz. Die Digitalisierung wird den Arbeitskräftebedarf durch Automatisierung teilweise reduzieren, vor allem aber wird sie Qualifikationsprofile verändern. Der Bedarf an digitalen Kompetenzen wächst in nahezu allen Berufsfeldern und erfordert besondere Bildungsanstrengungen. Dies gilt auch für die Integration von Migranten und die Gewinnung ausländischer Fachkräfte.
Welche Chancen und Herausforderungen sehen Sie in der Integration von Künstlicher Intelligenz in die Personalbeschaffung und -entwicklung?
KI-Anwendungen können Rekrutierungsprozesse beschleunigen, indem sie z.B. Bewerbungsunterlagen analysieren und Entscheidungsvorlagen erstellen. Auch können sie Mitarbeiterentwicklung und Nachfolgeplanung durch eine stärkere Individualisierung bzw. umfassendere Evidenz unterstützen. Ob diese Effizienzsteigerungen dann jedoch auch mit einer besseren Entscheidungsfindung einhergehen, hängt in entscheidender Weise von der Qualität der zugrunde liegenden Daten ab. So kann statt vermeintlicher Objektivität schnell eine Zementierung des Status Quo Ante eintreten, zumal KI-Algorithmen i.d.R. den Charakter einer Black Box haben. Auch ist im Wettbewerb um Talente die persönliche Ansprache zwar aufwändiger, aber effektiver, und dem Algorithmus die menschliche Intuition (noch) fremd – von der Akzeptanz KI-basierter Entscheidungen und dem Vertrauen in diese ganz abgesehen.
Welche Maßnahmen sind notwendig, um einen kulturellen Wandel zu vollziehen, der auf Stärken fokussiert und Unternehmen zu einem „Great Place to Learn“ macht?
Zukunftsfähige Unternehmen sollten sich nicht länger als ein „Great Place to Work”, sondern als ein „Great Place to Learn” verstehen und den permanenten Wandel strukturell wie kulturell verinnerlichen. Dies ist der Weg zu einer entwicklungsorientierten Organisation, die auf die Stärken eines jeden Einzelnen fokussiert und das Lernen im Prozess der eigenen Arbeit sowie das Lernen von Anderen durch Coaching und Mentoring in den Vordergrund stellt. Dies erfordert eine durch Offenheit und Kritikfähigkeit geprägte Führungskultur, die den persönlichen und emotionalen Bedürfnissen aller Beschäftigten Rechnung trägt, es ihnen ermöglicht, an ihren „blinden Flecken“ zu arbeiten und auch die „stillen Stars“ im Unternehmen fördert. Hierbei sind in besonderer Weise die jeweils direkten Vorgesetzten gefordert, da diese das Engagement der von ihnen Geführten unmittelbar beeinflussen.
Können Sie Beispiele für erfolgreiche Personalentwicklungsstrategien nennen, die sowohl dem demographischen Wandel als auch der Digitalisierung Rechnung tragen?
Eine zentrale Herausforderung des demografischen Wandels ist die Alterung der Belegschaft und der Wissensverlust durch Ruhestandsabgänge. Strategien für altersgerechtes Lernen und effektiven Wissenstransfer können dieses Problem angehen. Wichtige Bausteine sind flexible Lernformate, die den unterschiedlichen Lernerfahrungen und -bedürfnissen Rechnung tragen, sowohl in Präsenz als auch digital, sowie Mentoring- und Reverse Mentoring-Programme. Noch in den Kinderschuhen steckt ein strukturiertes Offboarding zur Sicherung des Erfahrungswissens ausscheidender Beschäftigte. Das Demografie Netzwerk e.V. (ddn) zeichnet in diesem Zusammenhang in jedem Jahr innovative Projekte mit dem Deutschen Demografie Preis aus, so z.B. das Universitätsklinikum Eppendorf für sein Projekt „Arbeiten 5.0“ zur Prozess- und Organisationsoptimierung oder die Ed. Züblin AG für die Initiative „Wir bauen mit Vielfalt“ zur Bewältigung des Fachkräftemangels.
Prof. Dr. Karlheinz Schwuchow
Karlheinz Schwuchow ist seit 1999 Professor für Internationales Management an der Hochschule Bremen und leitet dort das CIMS Center for International Management Studies.
Er studierte BWL an der Universität Bielefeld, schloss ein MBA-Studium an der University of Georgia (USA) und promovierte bei Prof. Dr. Hermann Simon.
Anschließend arbeitete Karlheinz Schwuchow 14 Jahre lang in der Weiterbildung und Unternehmensberatung. Er war Geschäftsführer, Dekan bzw. Beirat an vier Business Schools und hatte Gastprofessuren in Brasilien, China, Indien und Südafrika inne.
1990 begründete er das JAHRBUCH PERSONALENTWICKLUNG – HR TRENDS, das seither einunddreißigmal erschienen ist. Er ist darüber hinaus Autor von mehr als 150 Veröffentlichungen im Personal- und Unternehmensmanagement.
Treffen Sie Herrn Prof. Dr. Schwuchow auf dem DWLK am Montag, 04. November 2024 um 17:00 Uhr bei seinem Vortrag „Demografie & Digitalisierung – Personalentwicklung in der Transformation“.